Höherer Klatsch
Nicht nur Menschen treibt es im Frühjahr in ihre Gärten und Natur. Auch Politiker. Einen solchen trafen wir, als wir auf den Süllberg eingeladen waren. Wir wollen ja nicht angeben mit der Promi-Gegend unserer Bekanntschaft (oder nur ein bisschen) aber der Süllberg in Hamburg-Blankenese entspricht etwa dem Königsberg in Uelzen oder der Wiesenstraße in Allenbostel. Hinsichtlich HiFi-Qualität des Wohnens. Und deshalb wunderte es uns auch nicht, dass der uns einladende Anwalt und seine Gemahlin, beide höhere Tiere nicht nur auf dem Süllberg am Elbufer, sondern auch unten in Hamburg, nicht nur ihren Frühlingsgarten mit Elbblick anboten, sondern einen Abend inklusive Politiker. Ein richtiger. Minister, Senator - oder sowas sollte er sein. Für Finanzen. Jedenfalls hoch oben. Wie die Süllberg-Häuser, durch die wir uns jetzt wanden. „Die wollen auch dahin, die sind auch zu spät und suchen auch das Haus," meinte Christine, als sie das Paar von hinten erblickte, das die Gärten ebenso musterte, wie wir. Der Mann vor uns wedelte tatsächlich mit dem gleichen gelben DINA4-Blatt, das auch wir von unserer perfektionistischen Gastgeberin als Wegbeschreibung nutzten. Meine Wahrnehmung war hin und hergerissen zwischen diesem gelben Blatt, Hausnummernsuche, Gärtenbetrachtung, dem Paar vor uns und dem Blick auf die Elbe. Wir trafen uns auf dem kleinen Treppchen hinauf zum angegebenen Garten und waren froh, so geblieben zu sein wie wir seit 30 Jahren sind: Dünn oder mindestens wendig. Der Süllberg ist nur für dünne Leute oder sehr wendige. Das Paar vor uns war es auch. Dass der Mann vor uns jener annoncierte Politiker war, merkte ich erst, als ich auf ihm lag, er sein Gesicht unter mir umdrehte und ich es aus der Zeitung und dem TV zweifelsfrei erkannte. Er war - dem Schicksal des nachfolgenden Volkes vorangehend wie rechte alte Feldherren - auf eine jener festeingelassenen Steinplatten getreten, die aber ausnahmsweise nicht fest war, sondern wegbrach. Dass gerade führende Politiker straucheln und über etwas stolpern, ist ein Merkmal von ihnen. Dass ein Mensch wie ich jedoch über einen gestrauchelten Politiker stürzt, genauer: auf ihn, das ist selten. Dieser hochfinanzpolitische Mann war weich, so dass ich entsprechend fiel und mich als Dank dafür schneller erhob und ihm aufhalf. Danach stellte sich dieser freundliche, weiche Mann auch noch Christine und mir vor. Eigentlich unnötig -wie sein Fall selbst. Wie so viele Fälle in der Politik und in den jetzigen Frühling. Unsere Gastgeber sahen von oben nur uns beide Männer ineinander, aufeinander. Unsere Frauen waren vor bzw. hinter uns und eilten erst zu Hilfe, als unser Überlebenskampf schon vorbei war. Klassische Rollenteilung. Auf jeden Fall: Der Steinplattenwegabstecher wurde sofort gesperrt. Denn unser Gastgeber ist Anwalt und meidet böse Haftungsfolgen. Und die Moral von der Geschicht: Gib an mit Prominenten nicht. Besonders denen auf dem Süllberg. Sie leben wunderschön und hoch, aber gefährlich. Uelzen ist flach und sicherer. Weshalb es zumindest Peter Struck und Klaus Hedrich bei uns hält.
14. Mai 2002